Ein Mann liegt im Sterben. Seine Frau sitzt bei dem Bewusstlosen und beginnt zu erzählen - von Demütigung und Unterdrückung, von alltäglichen Grausamkeiten und vom Drama ihrer Ehe. Die kraftvolle Sprache, die eindrücklichen Bilder wirken wie ein Schrei, der die Stille zerreißt.
In einem Dorf irgendwo in Afghanistan sitzt eine Frau am Bett ihres schwerverletzten Mannes, der im Koma liegt. Im Zimmer ist es still, draußen hört man Schüsse, die Frau betet. Dann beginnt sie zu reden. Sie erzählt ihm, was sie ihm vorher nie sagen konnte, sie berichtet dem reglos Daliegenden von dem Drama, das die Ehe für sie bedeutet. Wie dem magischen »Stein der Geduld« aus der afghanischen Mythologie vertraut sie ihm ihren Schmerz an und beichtet ein Geheimnis, das sie seit langem bedrückt. Doch auch die Geduld eines Steins ist nicht unendlich. Atiq Rahimi hat ein großes, eindrucksvolles Buch geschrieben, erzählt in einer wunderbar klaren und poetischen Sprache.
***** Der Stein des Anstosses
„Irgendwo in Afghanistan oder sonst wo auf der Welt“ geschieht es, dass eine islamische Frau nicht mehr länger ihren Mund hält. Sie offenbart sich ihrem Mann. Sie spricht über ihre Gefühle, Sehnsüchte, Ängste, und ihre großen und kleinen Sünden, sie lässt einfach alles raus, während neben ihr Geschützfeuer flackern, Panzer vorbeidonnern, Soldaten das Haus stürmen. Und der Mann hört ihr zu, wortlos, geduldig. Er kann nicht anders, er liegt im Sterben; er liegt in einer Art Wachkoma.
Egal, wo man ist, auf dieser Welt, die Gefühle der Menschen scheinen alle die gleichen zu sein: Liebe, Hass, Sehnsüchte, Geborgenheit, Neid, Angst, Mutterliebe, Eifersucht, egal, was es ist, egal wo es ist, jeder Mensch kennt es.
Gerade deshalb ist auch der Roman von Atiq Rahimi so nachvollziehbar, so verstehbar. Trotz der Fremdheit, trotz der Andersartigkeit der Umgebung und des Glaubens, trotzdem die Kulisse so surreal erscheint. Hier werden Brücken geschlagen, zwischen den Völkern, zwischen den Sprachen, zwischen Mann und Frau. Allein schon, dass ein Mann die Geschichte einer islamischen Frau aufschreibt ist bemerkenswert, dass er in der Lage ist, deren Gefühlswelt auch noch mehr als akzeptabel zu beschreiben (es ist nicht die meine, aber dennoch nachvollziehbar) ist mehr als beachtenswert. Wenn schon nicht alle Menschen Brüder werden können, so lasst uns alle Schwestern werden…. (Der Stein der Geduld wird den Stein ins Rollen bringen).
Dieses Buch hat den Prix Goncourt mehr als verdient.
|